In einer Woche werden mit einem Jahr Verspätung die pandemiegeplagten Olympischen Spiele 2020 in Tokio eröffnet, schon tags darauf beginnen im Nippon Budokan die Judobewerbe. Mit sechs Ă–JV-Judoka, die allesamt ein Ziel haben: eine Medaille! Es wäre die erste seit Silber 2008 in Peking durch Ludwig Paischer. Und nach zweimal Gold fĂ¼r Peter Seisenbacher (1984 und 1988), zweimal Silber durch Paischer und Claudia Heill (2004) und Bronze fĂ¼r Josef “Pepi” Reiter (1984) die sechste, wenn man Bronze von Roswitha Hartl im VorfĂ¼hrbewerb 1988 in Seoul nicht mitrechnet. In einer vierteiligen Serie mit “Geschichten und Gschichterln” rund um die Olympischen Spiele wollen wir unseren Lesern die olympische Judo-Historie näherbringen. Heute befasst sich der erste Teil mit der Premiere und den Spielen bis 1976.

Teil 1 – die Premiere und das Massaker

Eher aus Respekt vor den japanischen Veranstaltern denn aus Interesse an diesem Sport nahm das IOC Judo fĂ¼r die Olympischen Spiele 1964 in Tokio ins Programm auf. Drei Ă–sterreicher waren bei dieser Premiere dabei: die Leichtgewichtler Karl Reisinger und Gerhard Zotter (beide ASKĂ– Graz) und der Mittelgewichtler Alfred Redl von den Wiener Verkehrsbetrieben. Als Verbandskapitän reiste Kurt Kucera, der spätere Ă–JV-Präsident, mit. Und hätte sich schon allein fĂ¼r seine Tagebuch-Notizen eine Goldmedaille verdient! So schrieb er Ă¼ber die Reise nach Japan, die mit KLM und sechs Zwischenlandungen – in Kairo, Dhahran, Karachi, Kalkutta, Bangkok und Manila – erfolgte: “Als bei der Zwischenlandung in Dharahn die äthiopische Olympia-Mannschaft in den Flieger einstieg, war Marathon-Olympiasieger Abebe dabei. Gott, ist der Mann dĂ¼rr! Unser Kampfrichter Fritz Svihalek wĂ¼rde sagen: Der kann nur zwei Krankheiten bekommen – eine Hautkrankheit oder BeinfraĂŸ.”

Als Gerhard Zotter schon unter den besten acht ist und mit einem weiteren Sieg Ă¼ber den Schweizer Haenni eine Medaille sicher hätte, schrieb Kucera in sein Tagebuch: “Wenn nur die erste Minute schon vorbei wäre! Ich sehe auf meine Uhr. 45 Sekunden sind vorbei. Plötzlich schreit Prof. Ludwig Prokop auf. Ich stehe auf – Zotter liegt am Boden, Sieger Haenni. Aus der Traum von einet Medaille!” Der Grazer beendete die Olympischen Spiele als Sechster und bester Ă–sterreicher aus dem Judo-Team. Medaille fĂ¼r Ă–sterreich gab es keine – der Fechter Roland Losert wurde als Vierter der beste aus dem rot-weiĂŸ-roten Olympia-Team.

Das absolute Highlight der Olympischen Judobewerbe 1964 war das Finale im Schwergewicht zwischen dem Holländer Anton Geesink und dem japanischen Lokalmatador Akio Kaminaga. Noch nie bis dahin hatte ein Japaner gegen einen Nicht-Japaner verloren. Aber Geesink schaffte es und wurde zum Entsetzen eines ganzen Landes der erste nicht-japanische Olympiasieger und Weltmeister (die Spiele zählten auch als WM, die es 1956 erstmals gab). Kucera in seinem Tagebuch: “In der fĂ¼nften Minute kann Geesink den Japaner zu Boden bringen. Er setzt sofort Kesa-gatame an, Ă¼berraschend jedoch kann sich Kaminaga befreien. In der neunten Minute kommt jedoch das Ende. Geesink bringt den Japaner durch eine Art Tani-otoshi in die Bodenlage. Wieder setzt er Kesa-gatame an, und diesmal gibt es kein Entrinnen. Geesink ist Olympiasieger und Weltmeister! Ein wĂ¼rdiger Meister unseres Sports. Während Japan weint, feiert Judo-Europa seinen Helden.”

Vier Jahre später, 1968 in Mexiko Stadt, war Judo aus dem olympischen Programm gestrichen – aber 1972 in MĂ¼nchen stand Judo wieder auf der Liste und blieb es bis heute. In MĂ¼nchen erreichte der Wiener Lutz Lischka im Mittelgewicht den 5. Platz. Er schrieb damals: “Im Kampf um den fĂ¼nften Platz gegen die Kampfmaschine Jakl (CSSR) habe ich den schönsten Wurf meiner Karriere geworfen.” Lischka hatte zuvor den Kampf um den Einzug ins Halbfinale gegen den späteren Olympiasieger Shinobu Sekine verloren. “Zum GlĂ¼ck fĂ¼r mich waren damals die Regeln anders als heute. Ich habe schon in der zweiten Runde gegen den Koreaner Oh verloren. Nach heutigen Regeln wäre ich ausgeschieden. Aber Oh schlug im Poolfinale Sekine, und so kam ich noch in den Kampf um den fĂ¼nften Platz. Lischka bekam in MĂ¼nchen neben seiner sportlichen Tätigkeit eine weitere, ganz besondere. Der heute 74-Jährige war damals Sportjournalist bei der “Kronen Zeitung” – und Augenzeuge des Massakers an den israelischen Sportlern im Olympischen Dorf. So berichtete er hautnah Ă¼ber die Geiselnahme am 5. September 1972. Es war nur einen Tag nach Lischkas Wettkampf, er hatte lange gefeiert und kam erst am frĂ¼hen Morgen ins Dorf. “Was mir unser Teamchef Manfred Penz erzählte, war so unglaublich, dass ich die Tragweite Ă¼berhaupt nicht begreifen konnte. Ich machte mich gleich auf den Weg zum israelischen Haus, aber es war ein Sperrkorridor in etwa 60 Metern Abstand errichtet. Ăœber einen Fernsehschirm in der Mensa wurden wir bis zum Abend Ă¼ber die Ereignisse informiert. Ich hatte ein mulmiges GefĂ¼hl. Am nächsten Morgen der totale Schock. Alle Israelis tot. Unter diesen Umständen war meiner Meinung nach nicht an weitere Sportwettkämpfe zu denken. Die Spiele gingen bekanntlich weiter, und am Schlussabend in der Gemeinschaftshalle fingen wir alle, wie auf ein unsichtbares Zeichen, zu singen an – John Lennons “Give peace a chance” …

Vier Jahre nach MĂ¼nchen, 1976 in Montreal, wurde der Oberösterreicher Erich Pointner, ebenfalls FĂ¼nfter. Der Judoka von Passage Linz unterlag zwar im ersten Kampf bis 63 Kilo dem SĂ¼dkoreaner Chang Eun-kyung, kam aber dank des Durchmarsches seines Gegners in die Trostrunde, in der er zwei Siege feierte und sich erst im Bronze-Kampf gegen den starken Italiener Felice Mariani geschlagen geben musste.

Teil 2 – Das Goldene Jahrzehnt

Foto oben: Ă–sterreichs Judo-Team bei der Olympia-Premiere 1964 in Tokio (von links nach rechts): Karl REISINGER, Gerhard ZOTTER, Alfred REDL - @70 Jahre Judo-Verband/SĂ¼ndhofer
Foto unten: Der spätere ÖJV-Coach George KERR bei der Demonstration einer Wurftechnik an Lutz LISCHKA. - @privat