„Lulu´s“ neue Heimat

Sie ist gebürtige Britin. War für ihr Land Unter-23-Europameisterin 2018 und holte ein Jahr davor Bronze bei der Junioren-WM. Doch irgendwann lernte Lubjana Piovesana einen Vorarlberger kennen und lieben und wechselte ins „Ländle“. Ihrem „König“ Laurin Böhler sei Dank, dass er die talentierte Judokämpferin nach Österreich holte. Seit anderthalb Jahren ist die 27-Jährige nun Österreicherin und setzte sich in der internen Qualifikation in der Klasse bis 63 Kilo gegen die Wienerin Magda Krssakova – letztlich deutlich und verdient – durch. Und jetzt kämpft „Lulu“ als Nummer 10 der Welt für ihre neue Heimat – hier der zweite Teil der Serie „Unsere 6 in Paris„.

Vater Martin ist Italiener, Mutter Amanda besitzt einen belgischen Reisepass. Geboren und aufgewachsen ist „Lulu“ in Birmingham, wo sie sich bis ins britische Nationalteam vorarbeitete. Ehe sie sich von ihrem Trainer und Teamkolleginnen gemobbt fühlte, Laurin kennenlernte und er sie ins „Ländle“ einlud. „Ich liebe Vorarlberg, bin gekommen, um zu bleiben. Die Berge, die Leute, die Lebensart – ich fühle mich richtig wohl hier.“ Auch wenn es schon manchmal, abseits vom Judo, vorkommt, dass sich „Lulu“ noch als „british citizen“ outet. Aber spätestens, wenn der Leistungssport und Olympia ins Spiel kommen, dann betont die 27-Jährige: „Ich kämpfe seit Jänner 2023 für Judo Austria. Das ganze Team hat mich sehr gut aufgenommen. Und meine Erfolge übertreffen alle Erwartungen.“ Mobbing ist sowieso kein Thema mehr.

22 Turniere hat Lubjana Piovesana seit Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft bestritten. Jenseits der Top-100 kam sie nach fast dreijähriger Abstinenz auf die World-Tour zurück. Die Halbmittelgewichtlerin nimmt aktuell Platz 10 im IJF-Ranking ein und hat im laufenden Jahr zwei Grand-Slam-Turniere (Duschanbe und Baku) gewonnen. Sowohl bei der EM 2024 in Zagreb als auch bei der WM 2023 in Doha kämpfte sie um Bronze, musste sich zweimal, jeweils nach mehr als sechs Minuten Netto-Kampfzeit, im Golden Score knapp geschlagen und mit dem fünften Rang zufrieden geben. „Ich hätte nichts dagegen, wenn es ausgerechnet bei Olympia erstmals mit einer Medaille bei einem Großereignis klappen sollte.“

Als „Lulu“ im Jänner 2023 den österreichischen Reisepass bekam, dachte sie nicht einmal in ihren kühnsten Träumen an eine Olympia-Teilnahme. „Los Angeles 2028 erschien mir viel realistischer.“ Erst recht, weil sie in drei Jahren ganze zwei Turniere bestritten und öfters ans Aufhören gedacht hatte. „Es war eine unglaublich schwere Zeit, die sich wegen der Corona- und der Ukraine-Krisen auch noch unnötig in die Länge zog.“ Geteiltes Leid war halbes Leid – denn Freund Laurin erging es ähnlich. Drei Kreuzbandrisse, insgesamt neun Operationen, Rücktrittsgedanken. Aber gegenseitig sprachen sich die beiden Mut zu, kehrten auf die Erfolgsstraße zurück. Aber nur sie schaffte die Olympia-Qualifikation. „Natürlich wäre es ganz besonders schön gewesen, wenn sich auch Laurin qualifiziert hätte. Aber ich bin glücklich, mich so schnell in der Weltspitze etabliert zu haben.“ Jetzt heißt es, trotz der guten Resultate der letzten Monate am Boden zu bleiben. „Ich kann ehrlich gesagt nicht gut mit Druck umgehen. Am besten bin ich, wenn ich mir nicht zu viel erwarte.“

Mentales Training wurde in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung für Paris großgeschrieben. „Ich habe mein größtes Ziel, die Olympia-Qualifikation erreicht. Die Sommerspiele selbst sind so eine Art Draufgabe. Ich freue mich aufs Olympische Dorf, aufs Olympic Team Austria und meinen Wettkampftag in der Champ-de-Mars-Arena.“ Viel Zeit zum Nachdenken bleibt der Austro-Britin ohnehin nicht. „Ich bin im Prüfungsstress, muss zwischen den Trainingslagern meine letzten Uni-Prüfungen im Politik-Fernstudium abschließen.“ Trotzdem wird sie nach Paris und Taylor-Swift-Konzert im Happel-Stadion in Wien – letzteres gemeinsam mit Judo-Teamkollegin Elena Dengg – schnell wieder auf die Schulbank zurückkehren. „Im Herzen bin ich längst eine waschechte Österreicherin. Jetzt muss ich dringend einen Sprach-Intensivkurs buchen. „Mein Deutsch ist noch nicht konkurrenzfähig“, lächelt Lubjana. „Aber das wird sich heuer noch ändern. Ehrenwort!“

Zur Person

LUBJANA PIOVESANA, Gewichtsklasse: Halb-Mittelgewicht, – 63 kg (Olympischer Wettkampf-Einsatz: 30. Juli 2024). Alter: 27 Jahre (geboren 3. Jänner 1997), Verein: Leistungszentrum Hohenems/V, Wohnort: Lochau/V, Linz/OÖ (Bundesstützpunkt), 2 EM- und WM-Teilnahmen, bisherige Olympia-Teilnahmen: 0. Graduierung: 1. Dan; Sportliche Erfolge: aktuelle Nr. 10 der IJF-Weltrangliste, EM-Fünfte 2024, WM-Fünfte 2023, 2-fache Grand.-Slam-Siegerin (Dushanbe, Baku, jeweils 2024). Kampf-Bilanz 2024: 20 Kämpfe, 14 Siege (10 Ippon, 1 x 2 W, 3 x W), 6 Niederlagen.

Morgen: Teil 3 – Michaela POLLERES – „Unsere Top-Hoffnung“

Foto: Lubjana PIOVESANA (weißer Judogi) im Kampf um EM-Bronze gegen die Slowenin Leski - @Judo Austria / Oliver Sellner

Ähnliche Beiträge

  • Lutz Lischka, 79, verstorben

    Eigentlich wollten wir zu seinem 80. Geburtstag am 30. Jänner noch eine Story über ihn machen, doch der Tod war leider schneller – Lutz Lischka (@JLV Wien/privat) ist am Wochenende im Alter von 79 Jahren in Wien verstorben. Wir trauern um einen der Großen des Wiener und österreichischen Judosports, aber vor allem um den Menschen…

  • Papa ist immer dabei

    Sie ist seit sieben Jahren absolute Weltspitze, zweifache Mixed-Olympiasiegerin, Welt- und fünffache Europameisterin, und wohl einer der Stars bei der am Freitag in Budapest beginnenden Weltmeisterschaft – Romane Dicko, 25-jährige Französin im Schwergewicht, Pendant ihres berühmten Landsmannes Teddy Riner. Und „die Dicke“ hat auch ein Erfolgsgeheimnis: „Mein Papa ist immer dabei, er ist quasi meine…

  • |

    „Knopf aufgegangen“

    Mit Bronze bis 70 Kilo beim Europacup in Paks hat Leonie Bayr am Samstag ihre erste Medaille bei den Juniorinnen geholt. „Mir ist der Knopf aufgegangen“, lacht die 19-Jährige von Vienna Samurai, die damit auch den Sprung ins ÖJV-Top-Team schaffte. Nach einigen ereignisreichen Wochen mit abgeschlossener Matura geht es jetzt für „Manji“, wie sie liebevoll…

  • Ernst Raser dankt ab und sagt DANKE!

    Er ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten im österreichischen Judo der letzten 50 Jahre. Aber jetzt dankt Ernst Raser als Präsident des Landesverbandes Wien ab und sagt DANKE! Der einstige Erfolgstrainer der ÖJV-Damen, zuletzt auch Vizepräsident im ÖJV, und seit elf Jahren Chef des Wiener Verbandes, wird bei der Freitag stattfindenden Jahreshauptversammlung seine Funktion niederlegen und…

  • Eine emotionelle Judo-EM für „Sabsi“

    Vor 13 Jahren holte sie in Lissabon, wohin es Mittwoch wieder zur EM geht, ihren ersten EM-Titel, vor zehn Jahren den zweiten, und Freitag könnte sie zum letzten Mal auf eine EM-Matte steigen – diese Europameisterschaft 2021 wird für Österreichs langjähriges Judo-Aushängeschild Sabrina Filzmoser eine wohl sehr emotionelle. „Ja, jeder spricht mich darauf an. Aber…