Der zweite Tag der Judo-EM in Montpellier (FRA) wurde fast zum “schwarzen Samstag”, da alle unsere Hoffnungen auf Medaillen ihre Erstrundenkämpfe verloren. Nur Wachid Borchashvili, der “kleine Bruder” des Olympiadritten Shamil, schaffte mit Platz 5 in der Klasse bis 81 Kilo für ein achtbares Ergebnis. Der Welser startete mit drei Siegen, darunter einem 11-Minuten-Marathon gegen Matthias Casse (BEL/Nummer 1 der Welt), musste sich aber im Semiifinale und im Kampf um Bronze geschlagen geben. Alle anderen haben die Matte gesenkten Hauptes verlassen: Unsere Olympia-Medaillengewinner von Tokio, die silberne Michaela Polleres (bis 70 kg) und der bronzene Shamil Borchashvili (bis 81 kg) schieden ebenso aus wie die WM-Fünfte von Doha 2023, Lubjana Piovesana und die Wienerin Magda Krssakova (JC Sirvan/beide bis 63 Kilo). Wachid wow – der Rest aber mau!
Wachid Borchashvili (bis 81 kg) war an diesem für den ÖJV enttäuschenden Tag – trotz einer Knöchelverletzung – der einzige Lichtblick. Zuerst feierte er einen Ippon-Sieg nach 3:04 Minuten im Golden Score über den WM-Dritten von 2021, Frank de Wit (NED). In seinem zweiten Kampf bezwang der Welser den Italiener Antonio Esposito nach 2:20 Minuten im Golden Score durch Hansokumake (2:3 Shidos). Im Viertelfinale, einem wahren Thriller, schlug Borchashvili den Olympiadritten von Tokio und Weltmeister 2021, Matthias Casse (BEL), nach unglaublichen 11:24 Minuten, in denen es weder eine Wertung noch ein Shido gegeben hatte, mit einem Konterwurf. Erst im Semifinale gegen den türkischen Ex-Europameister Vedat Albayrak wurde der sichtlich müde wirkende Wachid ausgekontert und verlor mit Ippon. Leider gab es für den 25-Jährigen im Kampf um Bronze kein Happy-End – auch dieser Fight gegen den deutschen Olympia-Fünften Dominic Ressel ging in die Verlängerung, beide hatten je zwei Shidos, dann bewertete der Referee eine Aktion des Österreichers, doch diese Wertung, die Wachids erstes EM-Bronze bedeutet hätte, wurde zurückgenommen. Und wenige Sekunden später, nach insgesamt 9:12 Minuten, kam das dritte Shido für Borchashvili. Bitter, noch dazu nach diesen Überstunden! In seinen fünf Kämpfen stand er total 38:25 Minuten, fast doppelt so lange wie bei 5 x 4 Minuten vorgesehen, auf der Matte – der “kleine Bruder” hätte sich Edelmetall redlich verdient!
Über die Leistungen der anderen sollte man aber nicht den Mantel des Schweigens legen. Sie waren schlichtweg schlecht und enttäuschend. Die aus Großbritannien eingebürgerte “Lulu” Piovesana (LZ Vorarlberg), die heuer im Mai in Doha WM-Bronze nur knapp verfehlt hatte, musste sich im Golden Score (nach 1:59 Minuten Overtime) der Finnin Emilia Kanerva geschlagen geben. Ihrer internen “Rivalin” Krssakova ging es um keinen Deut besser – die Vize-Europameisterin von 2020 verlor nach 3:46 Minuten in der Verlängerung gegen die Rumänin Florentina Ivanescu und schied ebenso frühzeitig aus. Damit der Enttäuschungen nicht genug: Michaela Polleres (JC Wimpassingbis 70 kg) unterlag ihrer Angstgegnerin Anka Pogacnik (SLO) mit Waza-ari, und Shamil Borchashvili (LZ Multikraft Wels) fand bis 81 Kilo in Zelim Tckaev (AZE) seinen Meister (nach 1:27 Minuten im Golden Score). Ins enttäuschende EM-Bild passt auch die Ippon-Niederlage von Elena Dengg (ESV Sanjindo Bischofshofen) bis 70 Kilo gegen Serafima Moscalu (RUM).
Was gab´s sonst: Nur einmal Gold für Gastgeber Frankreich durch Eve-Marie Gahie (bis 70 kg), dazu je einen Sieg für Aserbaidschan, die Türkei (für den Bezwinger von Wachid) und Slowenien. Die Überraschungen des Tages: der enttäuschende 7. Platz von Jung-Mutter Clarisse Agbegnenou (FRA / zweimalige Olympiasiegerin, sechsfache Welt- und fünffache Europameisterin), die in der Klasse bis 63 Kilo nach zwei Siegen zweimal verlor. Casse ging auch aus dem Kampf um Bronze als Verlierer hervor – und die Niederlage von Tato Grigalashvili (GEO) im Finale gegen den “Borchashvili-Schreck” aus der Türkei. Und, dass Manuel Lombardo (ITA), der Vize-Weltmeister bis 73 Kilo und Ex-Europameister bis 66, das Schicksal der ÖJV-Stars teilen musste – er schied in Runde 1 aus … Nach zwei EM-Tagen führt in der Medaillen- bzw. Nationenwertung Frankreich (4/0/4) vor der Republik Moldau (1/0/1) sowie Slowenien, Aserbaidschan und die Türkei (je 1/0/0).
Am Sonntag, dem letzten EM-Tag, hat Österreich mit dem zuletzt starken Aaron Fara (JC Wimpassing/bis 100 Kilo) die wohl letzte Medaillenhoffnung. Von Senkrechtstarter Thomas Scharfetter (ESV Sanjindo/bis 90 kg) und dem Langzeitverletzten Laurin Böhler (LZ Vorarlberg) sollte man sich nicht unbedingt Medaillen erwarten. Auch zwei Wiener steigen auf die Matte: Die Brüder Adam Borchashvilli (bis 90 Kilo) und Movli Borchashvilli (über 100 Kilo/beide M&R Galaxy Judotigers) geben ihr EM-Debüt. Über 78 Kilo der Frauen kämpft auch noch Maria Höllwart (ESV Sanjindo). Man darf gespannt sein, ob das von ÖJV-Headcoach Yvonne Snir-Bönisch ausgerufene Ziel “zumindest eine Medaille” doch noch in Erfüllung gehen kann. Die Chance dafür wäre ja schon am Samstag da gewesen …
Foto: Einzig Wachid BORCHASHVILI (weiß) konnte am zweiten EM-Tag überzeugen: Platz 5 - @Judo Austria/Oliver Sellner