Alle für einen, einer für alle – diese Phrase des französischen Schriftstellers Alexandre Dumas aus dem Roman “Die drei Musketiere” lässt sich 1:1 auf das Klima im ÖJV-Team vor und bei den Olympischen Spielen in Tokio übertragen. Nur sind es hier “sechs Musketiere”, ein junger und ambitionierter Präsident sowie ein neuer ÖJV-Headcoach mit einem engagierten Trainerteam. Dieser Teamgeist ist eines der Erfolgsgeheimnisse für die im Judo – dank Silber von Michaela Polleres und Bronze von Shamil Borchashvili – erfolgreichsten Spiele seit Los Angeles 1984, also seit 37 Jahren! Auch wenn Stephan Hegyi am frühen Freitagmorgen gegen den Judo-Superstar Teddy Riner verlor, kann man eine erfreuliche Bilanz ziehen.
Als Martin Poiger im Oktober 2019 als Nachfolger von Dr. Hans Paul Kutschera zum neuen ÖJV-Präsidenten gewählt wurde, hatte er etliche Probleme um die Ohren. Etwa die Zurückgabe der für heuer in Wien geplant gewesenen Weltmeisterschaft und damit verbunden die finanziellen Sorgen, und wirklich fehlende sportliche Erfolge in den Jahren zuvor. Zwar gelang es immer wieder, bei Europameisterschaften Silber und Bronze zu holen, aber die letzte WM-Medaille datierte von 2010, als Sabrina Filzmoser in Tokio Bronze gewann. Und noch länger zurück lag die letzte Olympia-Medaille. Das Silber von Ludwig Paischer 2008 in Peking.
Nur wenige Monate nach Poigers Amtsantritt kam noch die COVID-Pandemie dazu, die sportliche Aktivitäten, insbesondere im Kampfsport, für viele Monate verhinderte. Der Schaden, den die Pandemie in Österreichs Judosport angerichtet hat, wird erst jetzt so richtig sichtbar. Man muss erst diesen Rückstand aufholen, ehe man an neue Projekte herangehen könne. Dachte man. Poiger indes erkannte, dass offenbar zwischen den Kader-Judoka und dem Trainerteam nicht die optimale Harmonie herrschte – und engagierte per Jahresbeginn 2021 eine Deutsche als neuen ÖJV-Headcoach. Die Bestellung von Yvonne Bönisch, die mit ihrem Gold bis 57 Kilo 2004 in Athen noch immer die einzige deutsche Judo-Olympiasiegerin ist, war nicht unumstritten. Doch die Erfolge von Tokio geben dem Verbands-Präsidenten Recht. Es war die richtige Entscheidung zur rechten Zeit.
Der Potsdamerin ist es gelungen, das Team zusammenzuschweißen. Der vielgepriesene “Spirit” ist in das ÖJV-Team eingezogen. Einer für alle, alle für einen – man sah und sieht es in Tokio. Als die Wienerin Magda Krssakova in der Klasse bis 63 Kilo ausgeschieden war, fiel sie ihrer Kollegin Polleres in die Arme. Der Trost tat gut. Nur einen Tag später jubelte Magda mit der Wimpassingerin über deren Silbermedaille. Und Kimran Borchashvili, der ältere Bruder des Olympia-Bronzenen, begleitete Shamil auf Schritt und Tritt und stimmte ihn richtig auf seine Kämpfe ein. Auch die Daheimgebliebenen sind ein Teil dieses Teamgeistes. Markus Moser etwa, der ÖJV-Sportdirektor, der in unglaublicher Art und Weise das ÖJV-Team zusammenhält und die Schnittstelle zum Verband ist, oder die Heimtrainer. Und da sind nicht nur Adi Zeltner (Trainer Polleres) und Manfred Dullinger (in Wels von Borchashvili) gemeint, sondern auch alle anderen.
Aber: In einem seiner Interviews sagte etwa Shamil Borchashvili: “Ich hoffe, dass meine Medaille dazu beiträgt, dass viele Jugendliche zu unserem Sport kommen beziehungsweise die, die schon Judo machen, motiviert werden, sich voll ins Zeug zu legen und sich sportliche Ziele zu setzen.” Die Nachwuchsförderung – seitens des Verbandes an die Vereine bzw. seitens des Staates an den Verband – muss vorangetrieben werden. Sehr bald schon könnte es – auch im Judo – ein Loch geben. Dass ein solches entsteht, muss verhindert werden. Und auch da gilt: Einer für alle, alle für einen …
Josef Langer